Funktionalanalytische Methoden in der klassischen Physik. Lineare Theorie (WS22/23)
Vorlesung von Dr. Holger Stephan (WIAS) an der HUBerlin
Modulbeschreibung (konkrete Themen sind weiter unten aufgelistet):
Der Kurs ist eine Vorlesung in Funktionalanalysis, nicht in
klassischer Physik.
Ziel der Vorlesung ist es, die mathematischen Grundlagen zu erarbeiten,
die zu einer exakten
Modellierung von Problemen aus der klassischen
Physik erforderlich sind.
Die Funktionalanalysis analysiert Funktionale. Funktionale sind
strukturerhaltende
Abbildungen abstrakter Objekte in die (z.B. reellen) Zahlen.
Die Analyse der Funktionale soll helfen, die Eigenschaften der
abstrakten Objekte zu verstehen. Geht es um das Verständnis physikalischer
Objekte, ist die Frage, was die geeigneten mathematischen Objekte und
Funktionale dafür sind.
Auf der Suche danach kann man sich vom intuitiven Verständnis leiten lassen,
was physikalisch Zustände und Beobachtungen sind.
Es stellt sich heraus, daß die realen Objekten Zustandsraum und
Beobachtungsraum den mathematischen Objekten kompakter
topologischer Raum und Banachverband der stetigen Funktionen entsprechen.
Damit ist auch das funktionalanalytische Grundgerüst der Vorlesung
(Banachverbände und ihre dualen) beschrieben.
In der Vorlesung geht es nicht in erster Linie darum, konkrete Modelle für
konkrete physikalische Prozesse zu entwickeln (z.B. die Wärmeleitungsgleichung
zur Beschreibung der Temperaturentwicklung), sondern zu untersuchen wie
ein klassisches physikalisches System prinzipiell beschrieben werden muß.
Die Nichtbeachtung dieser Prinzipien führt zu Fehlern, die sich häufig erst
bemerkbar machen, wenn man versucht, falsche Ansätze, die in einfachen Fällen
zu brauchbaren Ergebnissen geführt haben, auf kompliziertere Problme
anzuwenden.
In der Vorlesung geht es viel um Dualität, d.h. das Verhältnis zueinander
dualer Objekte.
In der Physik interessiert man sich nur für zwei Typen von Größen: für
extensive
und intensive Größen. Die Dualität dieser beiden Typen zieht sich wie ein
roter Faden
durch die gesamte Mathematik. Wir treffen sie wieder in der Dualität von
Kardinal- und Ordinalzahlen, Mengen und Teilmengen, symmetrischen und
asymmetrischen Relationen, Radonmaßen und stetigen Funktionen.
Dieses spezielle Interesse - das uns meistens gar nicht bewußt ist - an
prinzipiell nur zwei Typen von Größen führt rein logisch zu
Naturgesetzen wie
dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der sich als Ungleichung für
Markowoperatoren darstellt.
Im zweiten Teil (nichtlineare Theorie, SoSe2023) werden die nichtlinearen
Gleichungen der klassischen Physik (Lagrangegleichung, Hamiltonsystem,
Hamilton-Jacobi-Gleichung) und die dazugehörende Mathematik - vor allem konvexe
Analysis - besprochen.
Ort und Zeit
Vorlesung wöchentlich Montags
15:00 bis 17:00 ,
beginnend mit dem 07.11.
Ort: Johann von Neumann-Haus - 2.006 Rudower Chaussee 25 (RUD25)
Beweise: Jede Menge ist weniger mächtig als die Menge ihrer
Teilmengen. Genauer: Es gibt keine bijektive Abbildung zwischen einer Menge
und der Menge ihrer Teilmengen.
Beweise: Die Menge der Teilmengen von $\N$ und die Menge $\R$ sind
gleichmächtig.
Beweise: Ist die Summe einer gewissen Menge nichtnegativer
reeller Zahlen endlich, sind höchstens abzählbar viele davon echt
positiv.
Entscheide of $x=y$ oder $x\not=y$:
x = \tan 7.5^\circ = \tan {\pi \over 24}
y = \sqrt{6}+\sqrt{2}-\sqrt{3}-2
Beweise, daß es wahrscheinlicher ist, mit einem realen Würfel $k$
mal hintereinander dieselbe Zahl zu würfeln als mit einem idealen Würfel.
Beweise, daß die Mediant-Konstruktion der rationalen Zahlen letzlich
alle rationalen Zahlen zwischen 0 und 1 genau einmal zählt.
Folgende Begriffe Nachschlagen (Siehe im Skript jeweils am Kapitelende)
Merksätze (grün im Skript)
Themen in der Vorlesung:
Dualität extensiver und intensiver physikalischer Größen
Der kompakte Hausdorffraum als physikalischer Zustandsraum
Der Banachverband stetiger Funktionen
Der Banachverband der Radonmaße
Lineare Dualitätstheorie
Die Kakutani-Krein-Stone Theorie
Markowoperatoren
Der Krein-Rutman- und der Kakutani-Markow-Fixpunktsatz
Ungleichungen für Markowoperatoren
Irreversibilität physikalischer Prozesse
Umkehrbarkeit physikalischer Prozesse
Stetige Halbgruppen im Banachraum
Lineare Gleichungen (Fokker-Planck-Gleichung, Chapman-Kolmogorov-Gleichung,
Liouvillegleichung, Mastergleichung)
der klassischen Physik.
Voraussetzungen:
Topologie
(endlichdimensionale) lineare Algebra
Mehrdim. Analysis
Sinnvoll sind rudimentäre Kenntnisse in:
Klassischer Physik
Wahrscheinlichkeitstheorie
Maßtheorie
konvexer Analysis
Theorie partieller Differentialgleichungen
Zusatzthemen:
Empfohlene Literatur:
Zum mathematischen Rahmen der Beschreibung allgemeiner klassischer
physikalischer Systeme:
A mathematical framework for general classical systems and time irreversibility
as its consequence
WIAS
Preprint 1629 (Holger Stephan);
(Im Skript genannt: 1629)
Zur Physik (extensive und intensive Größen)
Galileo Galilei; Unterredungen und mathematische Demonstrationen. Über zwei neue
Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend
(Erster bis sechster Tag)
elektronische Version
Zu funktionalanalytischen Grundlagen (Topologie, Funktionenräume):
N. Dunford, J.T. Schwarz; Linear Operators, General Theory (Part 1)
Im Skript genannt: DS I
Zur Maßtheorie
H. Bauer; Maß- und Integrationstheorie
Jürgen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie
Zu Funktionenräumen (Raum stetiger Funktionen und seine dualen)
Z. Semadeni; Banach spaces of continuous functions
(Im Skript genannt: Semadeni)
S. Kaplan; The Bidual of C(X) (Part I)
(Im Skript genannt: Kaplan)
Zur Theorie stetiger Halbgruppen:
A. Pazy;
Semigroups of Linear Operators and Applications to
Partial Differential Equations
Die grundlegenden Theoreme und Beweise: S. 1-41, Sehr empfehlenswert,
gibt es als pdf im Netz
(Im Skript genannt: Pazy)
W. Arendt, et.al.;
One-parameter Semigroups of Positive Operators
Im Skript genannt: 1184 (Nummer der lecture notes)
Zusammenhang von Funktionalanalysis und Wahrscheinlichkeitstheorie:
Adam Bobrowski: Functional Analysis for Probability and Stochastic Processes
G.Polya, G.Szegö. Aufgaben und Lehrsätze der Analysis, 2
Bände
Richard Askey: "best geschriebenes und brauchbarstes Probleme-Buch
in der Geschichte der Mathematik"
Die Bücher gibt es im Internet