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Simulation dynamischer Prozesse in der Verfahrenstechnik

Bearbeiter: J. Borchardt , K. Ehrhardt , F. Grund , D. Horn  

Kooperation: A. Kienle (Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, Magdeburg), S. Kurz (Robert Bosch GmbH, Stuttgart), A. Schuppert (Bayer AG, Leverkusen)

Förderung: BMBF: ,,Simulation dynamischer Prozesse in chemischen Anlagen``

(03-GR7FV1-3)

Beschreibung der Forschungsarbeit:

Bei der numerischen Simulation dynamischer Prozesse   in komplexen verfahrenstechnischen Anwendungen kann man deren hierarchische Struktur ausnutzen. So wird etwa bei der Modellierung dynamischer Vorgänge in Produktionsanlagen der chemischen Industrie, ausgehend von einer modularen Entwicklung und Testung von Modellen für Teilanlagen, eine stufenweise Verschaltung der Teilmodelle zu einem Prozessmodell der Gesamtanlage erzeugt. Wegen der numerischen Komplexität der bei industriellen Anwendungen zu behandelnden Problemstellungen erlangt der Einsatz paralleler numerischer Verfahren eine wachsende Bedeutung. Die von uns in den letzten Jahren hierfür entwickelten Simulationsansätze und numerischen Verfahren nutzen die durch die modulare Modellierung vorgegebene hierarchische Struktur der zu behandelnden Gleichungssysteme für die Parallelisierung aus.

Im Berichtszeitraum wurden zwei Simulationsansätze untersucht, die mit diakoptischen Methoden arbeiten. Während beim homogenen Simulationsansatz von einer homogenen Modellierung des Prozesses durch ein hierarchisch strukturiertes DAE-System ausgegangen wird, können beim heterogenen Simulationsansatz   verschiedene Teilprozesse sowohl verschieden modelliert als auch mit unterschiedlichen Simulationswerkzeugen behandelt werden.

Beim homogenen Simulationsansatz,   der im Prozess-Simulator BOP   (Block Oriented Process simulator) ([1,3]) realisiert wurde, wird vorausgesetzt, dass die bei der Modellierung entstehenden DAE-Systeme entsprechend der Teilprozesse in m Teilsysteme

\begin{eqnarray*}
F_i(t,y(t),\dot{y}(t),u(t)) = 0, ~~i=1(1)m,\end{eqnarray*}

\begin{displaymath}
F_i :
 \mathbb{R}\times\mathbb{R}^n\times\mathbb{R}^n\times\...
 ...thbb{R}^{n_i}, ~~~\sum_{i=1}^{m}n_i=n, ~~~t \in
 [t_0,t_{end}],\end{displaymath}

strukturiert sind, wobei mit u(t) der Vektor der Parameterfunktionen und mit y(t) der Vektor der unabhängigen Funktionen bezeichnet sind. Basierend auf dieser Teilsystemstruktur werden die DAE-Systeme in Blöcke partitioniert. Eine solche Partitionierung kann vorgegeben oder durch Partitionierungsalgorithmen generiert werden. Durch geeignete Erweiterung der bei der Verwendung von BDF-Verfahren in jedem Diskretisierungszeitpunkt entstehenden nichtlinearen Gleichungssysteme können diese durch effektiv parallelisierbare blockstrukturierte Verfahren vom Newton-Typ (BSN) gelöst werden. Diese Verfahren basieren auf einem Block-Schur-Komplement-Ansatz und ermöglichen den Einsatz sowohl von Multilevel-Iterations- als auch von adaptiven Relaxations-Techniken. Sie wurden im Berichtszeitraum sowohl hinsichtlich der Effektivität ihrer Parallelisierung als auch hinsichtlich der eingesetzten Relaxations-Techniken verbessert ([1]).

Bei der numerischen Lösung der durch Diskretisierung der Differentialgleichungen entstehenden Systeme von nichtlinearen Gleichungen sind lineare Gleichungssysteme zu behandeln. Die Matrizen der linearen Systeme sind unsymmetrisch, schwach besetzt, schlecht konditioniert und besitzen keinerlei mathematisch verwendbare Struktureigenschaften. Es werden deshalb spezielle direkte Verfahren verwendet, die die schwache Besetztheit der Matrizen ausnutzen. Mit dem linearen Löser GSPAR   kann das Problem effektiv behandelt werden. Dies zeigte sich sowohl bei der Simulation von anspruchsvollen industriellen Problemen als auch bei der Lösung von Systemen mit verschiedenen Testmatrizen. Es konnten weitere Verbesserungen der numerischen Verfahren erzielt werden. Die Arbeiten an einer neuen, in Fortran 90 implementierten Version von GSPAR wurden fortgesetzt. Erste Testrechnungen sind positiv verlaufen.

Die Implementierung eines Compilers zur Erzeugung einer Schnittstelle zum Simulator BOP wurde fortgeführt. Ausgehend von der gleichungsorientierten Eingabesprache für Prozesse in der Verfahrenstechnik erzeugt der Compiler das dazugehörige DAE-System. Die Eingabesprache erlaubt eine zweistufige hierarchische Modellierung der Prozesse mit Hilfe von Macros und Units. Der Compiler löst die Hierarchie auf, und es wird eine Zuordnung der im DAE-System enthaltenen Größen zu den Variablen und Parametern vorgenommen. Aus den dabei entstehenden Listen, die das gesamte DAE-System beschreiben, wird die Schnittstelle zum Simulator BOP erzeugt. Die Struktur und die Ausdrücke zur Berechnung der Jacobi-Matrix werden durch symbolische Differentiation der Gleichungen des DAE-Systems erzeugt. Die Schnittstelle enthält in einem Datenteil die Beschreibung der Dimension, der Struktur, der Variablen und der Parameter des DAE-Systems. Ein Programmteil der Schnittstelle enthält Subroutinen zur Berechnung der rechten Seiten des DAE-Systems und zur Berechnung der Jacobi-Matrix. Die Einbindung von Nutzerprozeduren wurde erweitert. Es können jetzt auch vom Nutzer die zugehörigen partiellen Ableitungen bereitgestellt werden, die dann bei der Berechnung der Jacobi-Matrix an Stelle der bisherigen numerischen Differentiation benutzt werden. Der Compiler und die erzeugte Schnittstelle zum Simulator BOP wurden an ausgewählten Beispielen getestet.

Der Simulator BOP ist auf Parallelrechnern mit Shared Memory vom Typ Cray J90 und SGI Origin 2000 implementiert. Abbildung 1 zeigt die Beschleunigungsfaktoren für die komplette dynamische Simulation für drei verschiedene Destillationsprozesse unseres industriellen Kooperationspartners.



 
Abb. 1: Speedup der dynamischen Simulation einiger industrieller Destillationsprozesse.

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Aufgrund einer konkreten Problemstellung eines Kooperationspartners aus der Industrie wurde im Simulator BOP ein Einbettungsverfahren zur Bestimmung der stationären Lösung von Reaktionsgleichungen implementiert. Gesucht sind dabei Zustandsgrößen, die von Parametern abhängen und die explizite Funktionen der Zeit sind. Wegen der Reaktionsraten und anderer Parameter des Systems kommt es bei einigen anwendungsrelevanten Parameterkonstellationen dazu, dass sich die Werte der Lösungskomponenten in einem relativ engen Parameterbereich um mehr als acht Größenordnungen ändern. Die Bestimmung der stationären Lösung für solche kritischen Parametersätze ist mit einem kommerziellen Simulator sehr problematisch und gelingt nur, wenn man die Kenntnis des Lösungsgebietes bei der Festlegung einer geeigneten Startnäherung für ein iteratives Verfahren voraussetzt. Ein solches Vorgehen ist aber bei komplexen Systemen nicht mehr möglich. Aus diesem Grund wurde ein Einbettungsverfahren implementiert, bei dem bei der Bereitstellung der Startlösung keinerlei Vorkenntnisse des Lösungsgebietes erforderlich sind. Das Verfahren basiert auf der Lösung einer Folge benachbarter Probleme, die durch eine geeignete Regelung der Einbettungsparameter erzeugt werden. Mit diesem im Simulator BOP implementierten Verfahren wurden Testrechnungen zur Bestimmung der Lösung des stationären Gleichungssystems für verschiedene kritische Parametersätze erfolgreich durchgeführt. Das Verfahren hat sich dabei als sehr robust und zuverlässig erwiesen. Wegen seines geringen Rechenzeitaufwandes ist es auch für komplexere Aufgabenstellungen geeignet.

Bei dem im Berichtszeitraum ebenfalls betrachteten heterogenen Simulationsansatz   wird eine noch konsequentere Parallelisierungsstrategie als beim homogenen Ansatz verfolgt. Hierbei wird für gewisse Zeitintervalle die Simulation von Teilprozessen auf ein Rechnernetz verteilt und zum Ende jedes Zeitintervalls ein Abgleich der Koppelgrößen zwischen den Teilprozessen vorgenommen. Dieses Vorgehen kann sowohl auf Parallelrechnern mit Shared Memory als auch mit Distributed Memory angewendet werden. Bei diesem Vorgehen wird auf die von der Bayer AG Leverkusen entwickelte Simulationsumgebung Simulation Manager aufgebaut, mit der die verteilte Simulation von Teilprozessen gesteuert werden kann.

Da kommerzielle Simulatoren im Allgemeinen keine Eingangs-Ausgangs-Sensitivitäten liefern, wurden ableitungsfreie Waveform-Iterationsverfahren untersucht. Dabei wird vorausgesetzt, dass die zur Lösung der Teilprozesse eingesetzten Simulatoren für vorgegebene Eingangsvariablen die Ausgangsvariablen der Teilprozesse mit ausreichender Genauigkeit berechnen können. Da Verfahren vom Newton-Typ nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden können, weil kommerzielle Simulatoren in der Regel keine Ableitungsinformationen zur Verfügung stellen und Differenzenapproximationen der Jacobi-Matrix der Koppelgleichungen zu aufwendig sind, wurde ein Konzept zur Konvergenzverbesserung in Anlehnung an die bei Quasi-Newton-Verfahren verwendeten Aufdatierungstechniken (Broyden-Update) entwickelt ([7]), das insbesondere bei stark gekoppelten Systemen zuverlässig arbeitet und bei Bedarf vorhandene Sensitivitätsinformationen berücksichtigt.


Zeitfenster 1 2 3 4     1-4
Anzahl der Iterationen ohne Broyden-Update 39 29 23 18     109
Anzahl der Iterationen mit Broyden-Update 23 20 14 13     70
Tabelle 1: Konvergenzbeschleunigung der Picard-Typ-Iteration durch Broyden-Update

Für die Erprobung des heterogenen Simulationsansatzes wurde ein nichtisothermes Prozessmodell zur Herstellung von 1,2-Dichlorethan benutzt, das sowohl als Gesamtmodell als auch zerlegt in drei Teilprozesse programmiert wurde. Die Tabelle 1 zeigt die durch den Broyden-Update erzielte Konvergenzbeschleunigung für den in Teilprozesse zerlegten 1,2-Dichlorethan-Prozess.

Die im Rahmen des BMBF geförderten Arbeiten zur heterogenen Simulation wurden in diesem Jahr abgeschlossen.

Projektliteratur:

  1.   J. BORCHARDT, Newton-type decomposition methods in large-scale dynamic process simulation , erscheint in: Comput. Chem. Engng.
  2.  \dito 
, Parallel numerical methods for large-scale DAE systems , in: Proceedings of AspenWorld 2000, Conference on Optimizing the Manufacturing Enterprise, Orlando, FL, February 6-11, 2000, Aspen Technology, Inc., 2000, pp. 1-20.
  3.   J. BORCHARDT, K. EHRHARDT, F. GRUND, D. HORN, Parallel modular dynamic process simulation, in: Scientific Computing in Chemical Engineering II (F. Keil, W. Mackens, H. Voss, J. Werther, Hrsg.), [Part 2:] Simulation, image processing, optimization, and control, Springer, Berlin [u. a.], 1999, pp. 152-159.
  4.   J. BORCHARDT, F. GRUND, D. HORN, Parallelized methods for large nonlinear and linear systems in the dynamic simulation of industrial applications, Surveys Math. Indust., 8 (1999), No. 3/4, pp. 201-211.
  5.  F. GRUND, J. BORCHARDT, K. EHRHARDT, D. HORN, Divide and conquer strategies in large scale dynamic process simulation , in: Chemical Engineering and Reaction Technology ..., Abstracts of the Lecture Groups/International Meeting on Chemical Engineering, Environmental Protection and Biotechnology, ACHEMA 2000, DECHEMA, Frankfurt, Main, 2000, pp. 204-206.
  6.  K. EHRHARDT, J. BORCHARDT, F. GRUND, D. HORN, Distributed dynamic process simulation , erscheint in: Proceedings of GAMM 2000 Annual Meeting, Wiley-VCH, Berlin.
  7.   \dito 
, Divide and conquer strategies in large scale dynamic process simulation, Comput. Chem. Engng., 23 (1999), Suppl., pp. 335-338.


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